Vergnügliches Gespräch mit einigen ernsten Zwischentönen
„Wer ist der Bösewicht in Star Wars 7“? „Nach welchem Papst ist ein Feiertag benannt?“ „Wer spielt in der Tatort-Titelmelodie das Schlagzeug?“ Georg Spielmann hat Spaß, was prinzipiell schön wäre, müsste ich nicht als eine Art Dummy für das an diesem Abend stattfindende Pub-Quiz herhalten. Überrumpelt, erreiche ich auf der Blamage-Skala elf von zehn, wobei das mit dem Schlagzeug wirklich Herrschaftswissen ist (Sie kommen nie drauf). Letztlich zeigt der Chef der dreimann Buchhandlung, vorher ein bisschen müde, jetzt hellwach, ein Einsehen und wir setzen uns zu einem vergnüglichen Gespräch mit einigen ernsten Zwischentönen auf die Bank vor seinem Geschäft: Wer ist der Mensch hinter dem Buchhändler? Zunächst einmal einer mit gleich zwei offenen Schnürsenkeln. Ein spätjugendlich-modisches Statement ist das doch sicher nicht, oder? Nein: „Das ist die uralte Westerwälder Art zu sagen: ,Mir ist heiß!’“
In Steinebach/Sieg, dem Ort, in dem Georg Spielmann in einer kinderreichen katholischen Familie aufwächst, leben zu dieser Zeit ungefähr 350 Menschen. Wissen, wo er am 26. April 1967 geboren wird, ist im Vergleich damit fast schon Großstadt. Hier, in dieser scheinbaren Idylle, verlebt der Jüngste nach fünf Schwestern und zwei Brüdern eine als eng empfundene, da sehr auf Sicherheit bedachte Kindheit.
Schutzwall Familie
Die Familie wird als Schutzwall vor einer gefährlichen Welt verstanden. Sein Vater, ein Betriebswirt, kehrte wie so viele Vertreter dieser Generation mit kaputter Seele aus dem Krieg zurück, bemüht, zu funktionieren, der Rolle als Mann und Ernährer gerecht zu werden. Zwar werden Vater und Sohn später miteinander darüber sprechen können, vorerst aber schreckt der Junge von nächtlichen Schreien auf, wenn das Verdrängte sich in Alpträumen Bahn bricht. „Meine Kindheit war überschattet von den Kriegstraumata meines Vaters“, rekapituliert er heute nüchtern.
„Das sind Schicksale, …
Es sind die Bücher, die ihm beim Verstehen helfen: Schon bevor in der 1. Klasse das ABC durchgekaut wird, liest der kleine Georg Konsaliks „Der Arzt von Stalingrad“ und „Das geschenkte Gesicht“, beide vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs spielend. Sein Interesse an geschichtlicher Literatur ist bis heute ungebrochen. Würde er selbst schreiben, wäre es ein Buch über die Kriegserlebnisse seines Vaters, denn: „Das sind Schicksale, die erzählt werden müssen.“ Schon der Gedanke an Gewalt macht ihn immer noch beinahe sichtlich sprachlos, „das liegt völlig außerhalb meines Fassungsvermögens“. Das gleiche gilt für Geiz, Engstirnigkeit, Machtmissbrauch und Intoleranz. Es ist Heinrich Manns „Der Untertan“, der diese Untugenden allesamt auf sich vereint. Diese ewig aktuelle Geschichte eines Deutschen, dem Tucholsky außerdem eine „namenlose Zivilfeigheit“ bescheinigte, ist eines von Spielmanns Lieblingsbüchern, „Thema und Stil sind interessant“. Anderes Genre, aber ebenfalls Leib-Lektüre: Sillitoes „Samstag nacht und Sonntag morgen“. Georg Spielmann liest schon als Kind, was ihm in die Finger kommt, und das schließt sämtliche Dolly-Bücher seiner Schwestern mit ein. Außerdem möchte er Fußball spielen, darf aber nicht, denn die Mutter befürchtet, ihr Sohn könnte den rustikalen Rasen-Slang mit nach Hause bringen. Bleibt also die Leichtathletik als Leibesertüchtigung.
Tausche kleine Welt, …
Mit gerade 15 Jahren wird für Georg Spielmann aus eng zu eng, beschließt er, ins Ausland zu gehen. Es ist sein Vater, der ihn darin bedingungslos unterstützt, auch wenn das Geld wie meist knapp ist. Seine letzte Lebensversicherung ermöglicht es dem Jugendlichen, in North Dakota sein Abitur zu machen. Einige Jahre später, mit Mitte 20, zieht es ihn als Student nach Coleraine in Nordirland. Die beiden Auslandsaufenthalte, das dort gewonnene Selbstbewusstsein – „das sind Sachen, von denen ich heute noch zehre“. Das gleiche gilt für seine Zeit als Zivi: „In diesem Altenheim habe ich Demut gelernt“.
In den Westerwald kehrt Georg Spielmann nicht zurück. Erst durch den Tod eines Bruders und die Erkrankung einer Schwester rückt die Familie wieder enger zusammen. Inzwischen bezeichnet er seine Geschwister als einen Segen.
Ein Glücksgriff. !
Heute könnte Spielmann theoretisch sechs Wochen Sommerferien im Jahr haben, denn ursprünglich wollte er Lehrer für Englisch und Geschichte werden. Mit der Gelegenheit, eine Buchhandlung zu eröffnen, erledigte sich das und damit jeder Gedanke an eine sichere Laufbahn für alle Zeiten. „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht“, erklärt er diesen Schritt. Und wirklich, auf die Frage nach (weiteren) Interessen kommt „lesen“. Nach kurzem Sinnieren: „Und lesen. Für mehr bleibt keine Zeit.“ Nachdem sich seine Wege von denen der beiden Kompagnons trennten, verbot ihm eine Vertragsklausel, für zwei Jahre als Buchhändler in Siegen zu arbeiten. Die neue Chance lag 20 Autobahnminuten entfernt. Über Freunde erfuhr er von der Option Olpe als Standort für eine eigene Buchhandlung, „ein Glücksgriff. Ausrufezeichen“.
Keine Kompromisse …
2007 zieht die dreimann Buchhandlung dort ein, wo zuvor jahrzehntelang Damenoberbekleidung verkauft wurde, 2011 kommt die Bücherstube Hachmann am Markt hinzu. Zwar gibt es auch hier wieder einen Kompagnon, Bernhard Schiewek, aber mit dem liegt Georg Spielmann voll und ganz auf einer Linie: „Ich wollte keine Kompromisse mehr eingehen“, erklärt er, insbesondere die Bereiche Kundenservice und Mitarbeiterführung betreffend. Wer seinen Laden betritt, wird in der Regel von allen mit Namen begrüßt, das Miteinander ist freundschaftlich, fast familiär.
Der Buchhandel war vor fast zehn Jahren noch nicht so umkämpft wie heute, bereut hat Georg Spielmann seinen Schritt jedoch noch nie: „Ich mache das seit 16 Jahren, darunter fünf Tage, an denen ich keine Lust hatte. Ich finde, das ist ein guter Schnitt.“ Und sowieso sei der Spaß an dem, was man mache, nicht bezahlbar. Natürlich sind neue Ideen gefordert, wo die Menschheit zum Shoppen lieber auf der Couch bleibt und zum schnellen Kauf per Klick neigt. Dass aber sowohl die Lesungen mit zumeist sehr bekannten Autoren als auch die kleineren Veranstaltungen wie das Pub-Quiz derart in den Fokus rücken würden, „das hatte ich vorher so nicht am Zettel“. Peu à Peu wird so aus dem Buchhändler auch eine Art Eventmanager, sein Geschäft auch dank der Kaffeemaschine ein Treffpunkt, ein Begriff. Heute sei Olpe einer der größten Veranstaltungsorte, „darauf bin ich stolz. Ich habe eine Gelegenheit gekriegt und sie ergriffen“. Was ihn antreibt, ist die Neugier. Ehrgeiz auch? Spielmann überlegt. „Ja. Aber bedingt. Es ist die Lust an dem, was ich tue.“
“Sowieso sei der Spaß an dem,
was man mache, nicht bezahlbar.”
Kein Gewinn um jeden Preis
Natürlich betreibt auch Georg Spielmann sein Geschäft nicht aus reiner Nächstenliebe, aber Ultrakapitalismus, „Gewinn um jeden Preis“, wie er es ausdrückt, damit kann er nichts anfangen, „das ist nicht mein Ding“. Was Flüchtlinge angeht – denen müsse geholfen werden. Diejenigen Menschen, die sich schon auf den Weg gemacht haben, sind aus seiner Sicht nur die Spitze des Eisbergs. Als eine von vielen Fluchtursachen sieht Spielmann auch die Klimakatastrophe. Den von einem Journalisten geprägten Begriff „Wohlstandsapartheid“ findet er „sowas von treffend“, bezeichnet er doch Gegensätze, die auch in Olpe sichtbar sind. Wenn Spielmann Frauen und Männer durch die Stadt laufen sieht, die ihren Kindern nicht eben mal ein Eis kaufen können, „dann ist das als Vater für mich eine grauenhafte Vorstellung“. Den Menschen hinter dem Geflüchteten vor Augen ist es für ihn „eine einfache Kiste, wie immer im Leben: der kategorische Imperativ“.
„Ich fühle mich hier pudelwohl“
„Sehr, sehr freundlich“ habe man sein Geschäft in Olpe aufgenommen, erinnert sich Georg Spielmann an die erste Zeit als Buchhändler hier, um gleich hinterher zu schieben: „Aber wir waren auch freundlich!“ Für Olpe als Wohnort reicht es aus familiären Gründen zwar noch nicht, denn der in Trennung lebende Vater einer Tochter weiß sein Kind in Siegen fest verwurzelt. Doch ist die Stadt für ihn längst viel mehr als nur der Ort, an dem er arbeitet: „Ich habe inzwischen deutlich mehr Freunde in Olpe als in Siegen. Ich fühle mich hier pudelwohl.“
Nur eines könnte er nicht:
Direkt über der Buchhandlung einziehen. Ein bisschen Distanz zwischen Wohnen und Arbeiten darf es schon sein.
Text: Nicole Klappert
Fotos: Titelfoto – Nicole Klappert, Fotos im Text – privat
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